Es war ein ruhiger Abend in Bad Nenndorf, und die kleine Schenke von Carlos Pegel war erfüllt von warmem Licht und fröhlichem Stimmengewirr. Ein Feuer knisterte leise im Kamin, und das goldene Schimmern der Flammen tanzte über die alten Holztische und die gestreiften Vorhänge. Carlos, der Wirt mit dem herzlichen Lachen und dem nie ganz verblassenden venezolanischen Akzent, stand hinter seinem Tresen. Er polierte ein Glas mit seinem rot-weiß karierten Handtuch und blickte zufrieden über die gut besetzten Tische seiner Schenke.
„Ach, Señor Carlos, wie machst du das nur? Immer so gemütlich hier,“ rief Frau Wender, eine ältere Dame mit leuchtendem Kopftuch, die mit einer Hand schwungvoll ihr Stück Apfelkuchen verzehrte. Carlos lächelte breit, seine dunklen Locken zuckten leicht, als er mit den Schultern zuckte. „Ein bisschen Musik, ein gutes Feuer, und schon fühlt sich jeder wie zu Hause“, antwortete er mit einem verschmitzten Zwinkern.
In diesem Moment wurde die Tür zur Schenke leicht vom Wind aufgestoßen. Ein kühler Luftzug rauschte durch den Raum, und der Kerzenschein auf den Tischen flackerte kurz. Keiner bemerkte, dass im Schatten der Tür eine Gestalt stand, die kaum zu sehen war – Nennia. Die Hüterin der Süntelbuchen schlich mit leisen, federnden Schritten in den Raum, verborgen von der allgemeinen Fröhlichkeit und dem prasselnden Kaminfeuer.
Ihr Blick fiel auf Carlos, der gerade eine Flasche seines besten Rotweins öffnete und ihn in ein dickbauchiges Glas goss. Er seufzte zufrieden und hielt das Glas gegen das Licht, betrachtete, wie die tiefrote Flüssigkeit sich darin drehte und funkelte.
„Ein Schluck für den Wirt selbst – weil ich’s mir verdient habe“, murmelte Carlos grinsend und stellte das Glas kurz ab, um nach dem Korkenzieher zu greifen, der ihm aus der Hand gefallen war. Genau in diesem Moment huschte Nennia unbemerkt hinter den Tresen. In ihrer Hand hielt sie ihren Zauberstab, an dessen Spitze der kleine Kelch aus Süntelbuchenholz ruhte. Mit einer geschickten Bewegung ließ sie einen winzigen Tropfen des magischen Quellwassers in Carlos’ Glas gleiten – kaum sichtbar, nur ein kurzer Schimmer, der sich in der tiefroten Oberfläche des Weins verlor.
Dann war Nennia schon wieder verschwunden, bevor Carlos sich wieder aufrichtete. Niemand bemerkte sie. Es war, als hätte der Wind einen Hauch Magie durch den Raum getragen. Carlos nahm das Glas, drehte es erneut in seiner Hand und schnupperte daran. „Der riecht heute besonders gut“, sagte er erstaunt zu sich selbst und trank einen ersten, kleinen Schluck.
Kaum hatte der Wein seine Lippen berührt, hielt Carlos inne. Seine Augen wurden groß, und ein warmes, seltsames Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Es war, als würde ein Licht in seinem Inneren angezündet. Die Stimmen der Gäste, das Knistern des Feuers – alles rückte für einen Moment in den Hintergrund. Stattdessen hörte er plötzlich etwas, das er seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte: Musik. Eine Melodie, die aus seiner Kindheit zu stammen schien, tanzte in seinen Gedanken. Er erinnerte sich an die warmen Abende in Venezuela, an das Lachen seiner Familie und an die Zeit, in der er selbst gesungen hatte – mit Freude und ohne Zweifel.
„Warum habe ich eigentlich aufgehört zu singen?“ murmelte Carlos leise, fast zu sich selbst. Er spürte, wie das warme Gefühl in seinem Herzen immer stärker wurde, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Die Gäste bemerkten nichts von diesem Moment, doch Carlos selbst fühlte sich, als hätte ihn jemand sanft daran erinnert, wer er wirklich war – ein Sänger, ein Träumer, ein Mann, der die Freude am Leben in seiner Stimme tragen konnte. Noch hielt er das Glas in der Hand und blickte verträumt auf den Wein, der im Licht schimmerte.
Wenn du einen Zaubertropfen hättest, was würdest du damit tun? An welchen schönen Moment würde er dich erinnern?